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Archiv-Artikel

Bayern brauchen Nachspielzeit

Es bleibt dabei: Der deutsche Rekordmeister kann auch in diesem Jahr bei Hannover 96 nicht gewinnen. Allerdings gelingt es den Münchnern, in der zweiten Halbzeit ein 1:3 in ein 3:3 umzubiegen, und das, obwohl ihnen ein Pizzaro-Tor aberkannt wird

aus Hannover DIETRICH ZUR NEDDEN

Der Den-Ligapokalsieger-Auswärts-mit-3:0-Besieger gegen den amtierenden und Rekordmeister sowie selbst erklärten Champions-League-Mitfavoriten: Als Duell der Giganten hatte trotzdem niemand die Begegnung tituliert, andere wiederum verzichteten auf die Frage, ob hier vielleicht eine Vorentscheidung in Sachen deutsche Meisterschaft fallen würde. Dabei lieferte die Statistik ein weiteres Argument dafür, dass es legitim war, die höchsten Erwartungen an die Partie zu stellen: Seit der Saison 1988/89 hat Hannover 96 nicht mehr gegen Bayern München verloren. In erster Linie mangels Gelegenheit, aber wen interessierte das schon in der Hitze?

Im Würgegriff der tropischen Temperaturen schleppte das Hirn Erinnerungen an die WM 86 in Mexiko heran, an die TV-Reportage vom Spiel der BRD gegen Uruguay: „Es ist heiß im Stadion von Querétaro …“ WM-Niveau haben neuerdings auch die Preise im ehemaligen Niedersachsenstadion, das bis zum Herbst 2004 eine Baustelle sein wird, um in eine der obligatorischen Arenen verwandelt zu werden: Die Stehplatzkarte kostete 21,50 Euro (allerdings inklusive erquickender Duschen vom Feuerwehrschlauch, die dann wiederum die weiblichen Zuschauer unfreiwillig am Wet-T-Shirt-Contest teilnehmen ließen). Weil zurzeit nur 22.500 Zuschauer hineinpassen, so die Logik der Vereinsführung, müssen die das notwendige Geld allein aufbringen. Trotzdem zeigte man sich verwundert, als zwei Tage vorher in der Stadt mit dem immer wieder gern beschworenen „Riesenfanpotenzial“ noch 800 Karten erhältlich waren. Klingt einigermaßen widersprüchlich.

Keine unterschiedlichen Ansichten brachte das Spiel selbst: Beide Trainer, Ottmar Hitzfeld und Ralf Rangnick (alle anderen Beobachter auch), hatten ein „unterhaltsames“ bzw. „herausragendes“ Spiel erlebt mit zwei einander entgegengesetzten Halbzeiten. Blitzschnell, variationsreich und sicher kombinierend, scorte Hannover 96 zuerst durch Standards, „was immer mal passieren kann“, wie Bayerns Co-Trainer Michael Henke nachher sagte: Das 1:0 war einer der gefürchteten Zirkelfreistöße von Krupnikovic, Stajners 2:0 nach einer knappen halben Stunde resultierte aus einem Gestochere im Fünfer nach einer Ecke. Die Münchener, bis dahin chancenlos und geradezu überfordert wirkend, wollten ihrerseits „nur durch die Mitte spielen“ (Hitzfeld), vielleicht eingeschüchtert von der Information, dass die Breite des Feldes wegen der Baumaßnahmen auf das Mindestmaß von 64 Metern reduziert worden war.

Bei den Hannoveranern jemanden hervorzuheben, wäre notgedrungen unfair, sofern man nicht die gesamte, prima funktionierende Mannschaft nennen würde. Die gesamte? Nicht ganz. Georg Tremmel, ohnehin nicht der zuverlässigste Torhüter der Liga, lenkte den Ball nach einem Ballack-Fernschuss selbst ins Netz, sodass die Bayern wieder dran waren. Aber nur für vier Minuten – bis Rau nicht auf Stajner aufpasste, der mit dem Kopf auf Neuzugang Christiansen ablegte. Damit hatte einer der beide anwesenden Torschützenkönige der vergangenen Saison getroffen.

Hitzfeld tauschte zur Pause die schwachen Rau und Deisler aus, brachte für sie Sagnol und Schweinsteiger. Und hatte offenbar ganz grundsätzlich seinen Jungs etwas deutlich gemacht, damit er im Nachhinein mit der zweiten Halbzeit „sehr zufrieden“ sein konnte. Pizarro muss in dieser Form den Premium-Einkauf Makaay nicht fürchten, Hargreaves imponierte durch sein Überallsein.

Dass Bayern wie in der vergangenen Saison noch den Ausgleich schaffte (allmählich müssen sie dabei die Uhr im Blick behalten, denn diesmal brauchten sie die Nachspielzeit), mutete schließlich zwangsläufig und gerecht an, zumal Schiedsrichter Aust zwar häufig den Gästen einen Promi-Bonus einzuräumen schien, andererseits bei einem regulären Tor von Pizarro seinem Assistenten folgte und auf Abseits von Elber entschied. Zu dem Zeitpunkt war Hannover schon um einen Spieler ärmer: Im Vorbeigehen hatte Idrissou versucht, Linke mit dem Ellenbogen zu checken. Zwar traf er ihn nicht, aber der Münchner nutzte die Chance, sich schmerzverzerrt auf dem Rasen zu wälzen, dennoch.

Unter der Woche hatte Hitzfeld Hannover 96 zu den Bewerbern um einen Uefa-Cup-Platz gerechnet, Rangnick auf Nachfrage kommentiert, er würde noch mal drüber nachdenken, wenn Hitzfeld das in einem halben Jahr immer noch sage. Henke insistierte nach dem Spiel: 96 würde „auf jeden Fall“ im Mittelfeld der Liga mitspielen, „eventuell sogar mit der Tendenz nach oben“. Abwarten. Die adverbialen Einschränkungen sollte man immerhin nicht aus dem Blick verlieren.